Mit großem Eifer wird sich nun in vielen Gärten wieder dem Rasen gewidmet. Da wird vertikutiert, gesandet, nachgesät, gedüngt, gemäht, gewässert. Doch woher stammt eigentlich die Bereitschaft, sich solcherart um ein gleichförmiges Stückchen Grün zu kümmern?
Weite Rasenflächen waren einst das Privileg des Adels. Nur wer reich war, konnte sich diesen Luxus leisten. Ein Rasen bringt keine Nahrungsmittel hervor, vielmehr bedarf es eines hohen Aufwands, ihn anzulegen, und es verursacht eine Menge Arbeit, ihn zu erhalten. Der edle Rasen rund um Palast und Herrenhaus war ein Statussymbol, das den Besucher wissen ließ: die Eigentümer verfügen über den Grund und Boden sowie die Dienerschaft, um einen Rasen anlegen und vor allem pflegen zu lassen.
Im 19. Jahrhundert folgte das Großbürgertum allzu gerne der Aristokratie. Man nutzte seine finanziellen Möglichkeiten und stattete den Privatbesitz mit Parkanlagen aus, einschließlich großzügiger Rasenflächen. Steigender Wohlstand ließ die Mittelschicht anwachsen, und technischer Fortschritt – der Rasenmäher wurde 1830 in England zum Patent angemeldet – ersetzte Arbeitskraft. Und so wurde, was einst der Luxus der Reichen war, zum Muß für Millionen: der wohlgepflegte Rasen. Überall auf der Welt. Ausführlicheres findet man bei Yuval Noah Harari (Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen).
Nun kann der Rasen auch heute seinen Sinn und Zweck haben. Als Spielfläche für die Kinder beispielsweise. Oder als Pfad durch den Garten, der eine sinnliche Erfahrung bietet, nämlich wenn man ihm an einem taufeuchten Morgen mit bloßen Füßen folgt. Welcher Aufwand für die Rasenfläche betrieben wird, darf ein jeder selbst bestimmen. Spannender als jedes Kurzgraseinerlei allerdings ist eine Wiese.
Um aller Naturromantik zuvorzukommen: eine Wiese ist Kultur! Eine Halbkulturformation genaugenommen. So werden vom Menschen geschaffene halbnatürliche Pflanzengesellschaften bezeichnet, die meist durch Beweidung aus Wald entstanden sind. Der Rückgang der Gehölze begünstigte Licht- und Halbschattenpflanzen, die oft konkurrenzschwach und auf die Bewirtschaftung angewiesen sind. Womit wir wieder beim Mähen sind, denn eine regelmäßige Mahd ist für die Entwicklung einer Wiese unabdingbar. Aber eben – viel – seltener als beim Rasen.
Der einfachste Weg zur Wiese ist sicherlich, die Rasenerhaltungsmaßnahmen einzustellen. Also keine Düngung, kein Vertikutieren und insbesondere keine wöchentliche Mahd. Damit ändert sich ein Teil der Lebensbedingungen, und peu à peu wird die Zusammensetzung der Pflanzenarten eine andere. Das ist spannend zu beobachten und wenig Aufwand, von der Zeit abgesehen. Notwendig ist die meist zweimalige Mahd, die am besten in Abhängigkeit der Pflanzenentwicklung erfolgt. In hiesigen Gefilden heißt das: erste Mahd etwa nach Johanni (24. Juni), und zum zweiten Mal im frühen Herbst, also Ende September / Anfang Oktober. Unerläßlich, zumindest bei der Sommermahd, ist die Abfuhr des Schnittgutes, nicht ohne dem Heu die Gelegenheit zu geben, ein paar Samen dazulassen. Also am besten nach dem Mähen einige Tage abwarten. Dann haben auch Wiesenbewohnende eine Chance zum Rückzug (und Verbleib).
Mit dem Austrag des Heus geht ein allmählicher Aushagerungsprozeß einher, will sagen, der Standort wird nährstoffärmer. Das fördert die Artenvielfalt, während der Stickstoffeintrag aus der Luft dem entgegenarbeitet. Gut Ding will eben Weile haben.
Grundsätzlicher wäre die komplette Neuanlage. Nach dem Abschälen des Rasens wird eine Sandschicht aufgebracht und eingearbeitet. Damit ist der Standort abgemagert, das Nährstoffangebot also verringert. Dann wird eingesät, mit dem passenden Saatgut, möglichst aus einer regionale Quelle. Das klingt nicht nur nach hohem Aufwand – das ist es auch. Und dies nicht bloß der Arbeit wegen, sondern auch aus Ressourcensicht: die Rasensoden müssen irgendwohin, im ungünstigsten Fall entsorgt werden. Dafür muß der zur Abmagerung eingesetzte Sand irgendwoher kommen. Also allenfalls etwas für kleinflächige Maßnahmen, wenn Umweltaspekte eine Rolle spielen.
Wir haben uns für einen Zwischenweg entschieden. Selteneres Mähen spart Zeit, und die wurde genutzt, um Wiesenpflanzen zu vermehren. Diese wurden in den ehemaligen Rasen eingesetzt und vermehren sich nun ihrerseits selbst über Samen, soweit die Standortbedingungen gegeben sind. Saatgut fällt mittlerweile soviel ab, daß wir ein Grundsortiment anbieten können:
Wiesen-Margerite (Leucanthemum ircutianum)
Wiesen-Salbei (Salvia pratensis)
Weiße oder Breitblättrige Lichtnelke (Silene latifolia)
Acker-Witwenblume (Knautia arvensis)
Kuckucks-Lichtnelke (Lynchnis flos-cuculi)
Wiesen-Flockenblume (Centaurea jacea)
Wiesen-Storchschnabel (Geranium pratense)
Der Wiese-Kerbel (Anthriscus sylvestris) kommt von allein, oder man sammelt am Wegesrand ein paar Samen. Wer mag, kann Zwiebeln setzen, und so mit Krokus & Co. das Wiesenjahr beginnen lassen und den ersten Insekten den Tisch decken.
Die Entwicklung einer Wiese im Garten ist ein wunderbares Experimentierfeld. Und bietet sie nicht auch die Möglichkeit, die kulturelle Last abzuschütteln, die Feudalismus und Kapitalismus uns aufgebürdet haben?