Ein weiteres Beispiel für den Einfallsreichtum von Mutter Natur können wir im Frühling auch in unseren Gärten beobachten, obwohl es eher typisch für tropische Pflanzen ist: die Stammblütigkeit oder Kauliflorie, wie die Botaniker das Phänomen nennen. Die Blüten erscheinen nicht an neuen Trieben, sondern an verholzten Pflanzenteilen und brechen hier manchmal in überschäumender Fülle aus. – Warum nur?
In den Tropen sind Regenfälle häufig und obendrein heftig, und Blüten an den Zweigspitzen würden wohl Schaden nehmen, bevor ihre biologische Aufgabe erfüllt wäre. Nicht aber, wenn sie am Stamm sitzen. Hier sind sie auch für Vögel, Fledermäuse und kleine Säugetiere leichter zugänglich, die ihre Bestäubung übernehmen. Mitunter können die Früchte recht schwer sein und würden von schwachen Ästen nicht getragen. Sehr schön zu beobachten beim Kakaobaum ( Theobroma cacao) oder der Jackfrucht ( Artocarpus heterophyllus) aus Indien, die 10 bis 15 Kilogramm wiegen kann.
Wer nun nicht in die Heimat des Kakaos reisen kann, der pflanze sich einen Judasbaum (Cercis siliquastrum). Bei diesem prächtigen Gehölz ist die Kauliflorie im Wonnemonat wunderbar zu erleben. Oder aber einen Seidelbast (Daphne mezereum), der einzigen stammblütigen Art Mitteleuropas, ein Relikt aus wärmeren Zeiten.
Michael Harig